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GDR Underground Tapes

1980-90



about

tapetopia veröffentlicht, unter Verwendung des Original-Layouts und der ursprünglichen Tracklists, Kassetten-Editionen aus dem DDR-Underground der 1980er Jahre, speziell aus der Mauerstadt-Szene Ostberlins. Über drei Jahrzehnte nach ihrer ersten "Veröffentlichung" sind diese Tapes bisher weder auf Vinyl noch auf CD zu hören, sie mischten jedoch im Kanon der DDR-Subkultur vernehmbar mit. Im Widerspruch zu den damaligen Kleinstauflagen galten viele der Bands in gegenkulturellen Zirkeln als Kult, aber in informierten Kreisen als höchst verdächtig.

Die Underground-Tape-Szene der 1980er Jahre funktionierte in den beiden Sound-Systemen Ost und West ähnlich, doch grundverschieden. In Westgermany wie auch in Ostdeutschland produzierte man für einen Zirkel Gleichgesinnter und weitgehend nonkommerziell, die einen bewußt am Markt vorbei, die anderen ohne eine Vorstellung vom Markt. Ideentechnisch bestanden zwischen den Klangwelten durchaus Brücken, doch die produktionstechnischen Bedingungen leiteten sich jeweils aus den getrennten Ideologiekreisläufen zweier Welt-Ismen ab.

Für die Szene im Osten stellte sich neben der Frage nach der Idee auch immer das Problem ihres technischen Transfers. Zum einen existierten nur bedingt die technischen Voraussetzungen, einen Song zu produzieren, zum anderen war es schlichtweg unmöglich, Tapes in relevanten Auflagen zu kopieren. Tapedecks aus dem Westen wirkten wie Bronze in der Steinzeit und wurden hoch gehandelt. Kassetten-Recorder made in Eastgermany, wie Stern, Sonett, Minett, Anett, Babett oder das Tapedeck des staatlichen Herstellers RFT, waren exorbitant teuer und einer launischen Volkswirtschaft entsprechend selten im Angebot. Die DDR-Taperecorder galten zu Recht als extrem wartungsintensiv, eine Reparatur dauerte unberechenbare 4 bis 8 Wochen, das Erfolgserlebnis blieb oft aus. Die DDR-Produktion brachte keine Tapes hervor, die erschwinglich gewesen wären und sich zur Vervielfältigung eigneten. Die ORWO-Kassetten aus dem VEB Filmfabrik Wolfen waren billig nur im Hinblick auf ihre Qualität, zudem bandsalatanfällig. Im Verhältnis zum monatlichen Einkommen z.B. eines Lehrlings, etwa 250 DDR-Mark, verführten die 20 Mark pro Kassette nicht gerade zum Kauf. Um das Mißverhältnis weiter zu verdeutlichen: die Monatsmiete einer 1-Zimmer-Altbauwohnung kostete um die 25 Mark. Daher wurden vorzugsweise auch gebrauchte AMIGA-Tapes von irrelevanten Stars überspielt und somit einer Bandwäsche unterzogen. So fanden sich schonmal Namen wie Les Humphries Singers oder Mireille Mathieu als Palimpsest unter denen von DDR-Undergroundbands.

Sofern man nicht über "Westgeld" verfügte und keine privaten Handelsrouten in die Westsektoren Berlins oder Deutschlands unterhielt, um Equipment und Tapes über die innerdeutsche Stadt- oder Landesgrenze zu schmuggeln, erwiesen sich die Möglichkeiten von Tapeproduktionen daher als äußerst limitiert. Ganz abgesehen davon, daß Veröffentlichungen jeder Art ohne staatliche Genehmigung und an der ideologischen Verwertungskette vorbei, wenn nicht illegal, so doch nicht-legal waren, wurde der Schmuggel in größeren Stückzahlen und über gewisse Valuta-Grenzen hinaus teils als "Devisenvergehen" geahndet und von Kripo wie Staatssicherheit mit Interesse und strafrechtlich verfolgt.

Doch auflagenfreundliche Bedingungen schienen auch nicht vonnöten, denn von Vertriebsstrukturen oder von unabhängigen Plattenläden hörte man in der DDR nur aus einer anderen, deutscheren Welt. DDR-weit entstanden etwas mehr als 200 Moonshiner-Tapes in einem Zeitraum von 1984-89. Auch wenn das Ausmaß an Produktionen an dem im Westen Deutschlands nicht zu messen ist, so kursierten, zumeist in Kleinstauflagen von 20 bis 50 Exemplaren, einige Tapes, die es zu einem legendärem Ruf brachten; stellvertretend genannt seien die sogenannte "Rotmaul"-Kassette der Freakwave-Formation Ornament & Verbrechen oder "AIDS delikat" der Noise-Kombo Klick + Aus.

Henryk Gericke