FO 32 extra hart arbeitendes rastermaterial für kontakt entstand nicht im üblichen Underground-Millieu – Schauplatz war der Stützpunkt der 4. Flottille der DDR-Volksmarine!
In der Propagandaeinheit PRK 18 dienten Rekruten, die Logistik zur Agitation gegen die Intention des Systems wendeten. Innerhalb einer Kaserne, doch unterm staatlichen Radar, enterte das paramilitärische Musikkorps FO 32 ein NVA-Studio und nahm Industrialtracks und Dark Ambient auf. Die experimentelle Militärkapelle gab ein illegales Konzert, zuvor war sie schon in der Radiosendung „Parocktikum“ zu hören, ein Piratengig aus den Reihen der Volksmarine im Rundfunk der DDR.
1989 kursierte ein erstes FO-32-Tape unter nur wenigen Freunden. Kurz darauf erschien ein verknappter Materialmix auf dem illegalen Trash Tape Label in maximal einhundert Kopien. Die Vinylversion auf tapetopia orientiert sich an dem Originaltape.
Die wirre Chronik des DDR-Underground war nicht arm an bizarren Konstellationen. Sie rührten aus den Kollisionen von Diktatur und Subkultur sowie aus deren Verwirbelungen. Unterhalb des ideologischen Überbaus schufen sich staatsferne Zellen und Zirkel unabhängige Strukturen. Als Reflex auf ihre „Wühltätigkeit“ wurden die Mineure des Systems ihrerseits von dessen Schattenarmee getunnelt, und so ging alles seinen sozialistischen Gang. Eine der spektakulärsten Geschichten geht auf ein kaum bekanntes Projekt zurück, das diesem Automatismus mit beeindruckender Kaltschnäuzigkeit entging. Nicht der Abweichler wurde zum Opfer des Staates, der Staat geriet zur Beute von ein paar Freaks, besser noch, von ein paar Wehrdienstleistenden der NVA. Schauplatz war kein verschimmelter Keller auf einem zweiten Hinterhof oder ein Proberaum im Kirchenasyl – die Bühne dieser Schwejkiade befand sich auf dem Stützpunkt der 4. Flottille der DDR-Volksmarine! Dort, in Rostock Hohe Düne, entstand das paramilitärische Musikkorps FO 32 extra hart arbeitendes rastermaterial für kontakt.
Innerhalb einer Kaserne hätten die Bedingungen zur Entfaltung einer gelösten Persönlichkeit nicht nachteiliger sein können, tatsächlich aber waren sie optimal. Axel Holst, Stabschef von FO 32, spricht in der Rückschau von einer „perversen Idealsituation aus Eingesperrtsein und kreativem Druck“. Allein dies hätte kaum genügt, um eine experimentelle Militärkapelle zu formen. Doch die Fügung wollte es, dass ausgerechnet in einer Kompanie für politische Arbeit und Propaganda vier Rekruten aufeinander trafen, die ihren Wehrdienst entschlossen zum Dienst an der eigenen Sache umwidmeten. Mit Alexander Ponick, Dirk Nickel und Volker Wendt scharte Axel Holst Gesinnungsgenossen um sich, welche im Herrschaftsbereich der Genossen Offiziere schalteten und walteten, ohne dass ihre Vorgesetzten je Kenntnis von einer Fünften Kolonne innerhalb ihres abgeschirmten Komplexes nahmen. Die Doktrin „Kunst ist Waffe“ bewahrheitete sich in einer Weise wie sie vom Regime wohl kaum beabsichtigt war, FO 32 richtete zivile, letztlich jedoch militärische Logistik gegen die Intention eines monozialistischen Glaubenssystems.
Mindestens zwei der Verschwörer entstammten subkulturellen Kreisen. „Axelander“ Holst war mit Chaos, dem Sänger der Leipziger Punkrocklegende Wutanfall, befreundet. Beide empfanden Punk mittelfristig als ausgereizt. Holst gründete ein Industrial-Projekt namens Zauhaufen, das vermutlich noch auf der Schwelle von der Idee zur Tat verharrte. 1985 trat er dann in der Leipziger Galerie Nord als Performer in Erscheinung, bei einem Auftritt von pffft...!, einem Apocalyptikon aus Noise- und Industrial-Gewittern, das Chaos nach seinem Ausstieg bei Wutanfall entfesselte. Alexander Ponick rotierte im Umfeld der Rostocker Punkband Arrest. Von 1984 an absolvierte er eine Lehre als Drucker in der Berliner BS Rudi Arndt. Diese Berufsschule genoss einen speziellen Ruf. Drucker, Setzer und Buchbinder waren tendenziell mit künstlerischen Ambitionen gesegnet oder geschlagen, der Intellektualismus einiger stellte immer wieder weltanschauliche Standards in Frage. 1981 und '82 ging auch in der BS Rudi Arndt die pazifistische Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ um. Unter manchen Lehrlingen sorgte sie für offene Sympathien, unter den Lehrern und Meistern jedoch entsprechend für Kreuzeszeichen aus Hammer und Sichel. Es war ein turbulenter Jahrgang in „der Rudi Arndt“, er brachte auch Musiker der Punkbands Planlos, The Leistungsleichen und Grabnoct hervor. (Allerdings ebenso einen gewissen Lunikoff, über die gesamten 1990er-Jahre Kahlkopf der Nazirockband Landser.)
Aus dieser Kaderschmiede des Underground wurde Alexander Ponick 1987 direkt zur NVA einberufen und fand sich in der Propagandaeinheit PrK-18 der 4. Flottille der DDR-Volksmarine wieder, welche dem HGS-18 (Hauptgefechtsstand) zugeordnet war. Die PrK-18 verfügte über einen speziellen Maschinenpark. In einer KfZ-Halle standen drei tschechische Tatra-Zugmaschinen mit Containeranhängern, die eine mobile Druck- und Weiterverarbeitungsstrecke beherbergten; eine Satz- und Reprostation, eine Offsetdruckerei und eine Buchbinderei. Zwei W50-LKW, ausgerüstet mit Kino- und mit Tontechnik, harrten in einer weiteren Halle ihres Einsatzes. Der konkrete Zweck dieser Agitationsflotte blieb Mann und Maus über die Zeit ihres „Ehrendienstes“ verborgen. Fern jeder Wahrscheinlichkeit lag es jedoch nahe, dass sie im Ernstfall in der Etappe oder gar zur Demoralisierung des Feindes in Stellung gebracht werden sollte. Ab und an waren Erzeugnisse des weltanschaulichen Bedarfs für den internen Dienstgebrauch zu drucken, zumeist aber beschäftigte man die Legionäre mit Putzen. Nach 17 Uhr, insbesondere über die Wochenenden, machten die Offiziere von der ständigen Bereitschaft zur Vaterlandsverteidigung vorübergehend Feierabend und überließen den Flottenstützpunkt den Unteroffizieren vom Dienst. Das Fußvolk hatte sturmfreie Kaserne. Den verantwortlichen UvD stellte eine Flasche Schnaps ruhig und Axel Holst organisierte die ersten nächtlichen Sessions in der KfZ-Halle, in welcher das W50-Studio weitestgehend ungenutzt vor sich hin dämmerte; die Technik für den großen Propagandafeldzug harrte ihrer Zweckentfremdung!
Während dieser Nachtschichten blieb das Wissen um die Konsequenzen bei Entdeckung immer präsent, das Kollektiv der Konspirateure reduzierte alles Licht in der Halle auf ein Minimum. In dieser verdunkelten Atmosphäre prallten schließlich künstlerische Haltungen aufeinander und wurden teils intensiv ausgefochten. Wo Kampf eine rein militärische Option war, gewann er eine künstlerische Dimension. Dirk Nickel, in offizieller wie inoffizieller Funktion für die Studiotechnik verantwortlich, positionierte die Mikros außerhalb des W50, nahm Instrumente und Stimmen jedoch innerhalb der Halle auf. Diese Aufnahmen reicherten Loops aus gecutteten Tonbändern an, mittels Peilsender auf Kurzwelle aufgenommen, sämtlich dem Zufallsprinzip überlassen. Zwischen Industrial und Dark Ambient kreuzend, legten vom 4. Flottillenstützpunkt klandestine Nocturnes ab.
Nocturnes verlangen nach einem Namen, der im Dunkeln leuchtet. In einem der Tatras lagerte stapelweise ein spezielles Fotopapier. Seine fluoreszierende Typenbezeichnung „FO 32 extrahart arbeitendes Rastermaterial für Kontakt“ illustrierte in kalter Sachlichkeit sowohl den industriellen Charakter des Stützpunktes als auch den des Projektes. In einem W50 der Einheit PrK-18 produziert, tickte in FO 32... eine technoide Poetik, welche etliche zeitgenössische Projekte aus Westberlin oder dem Westen Deutschlands wie P1/E, Scala 3, Minus Delta T, Din A Testbild, Notorische Reflexe oder Populäre Mechanik ebenso im Namen führten. Die lakonischen Textprotokolle Axel Holsts fügten sich ohne weiteres in diese Ästhetik, ab und an erschien auch ein Gedicht von Ernst Jandl passend.
Die Aufnahmen waren nie als Kassiber innerhalb einer Kaserne, sondern mit größtem Selbstverständnis zur Veröffentlichung gedacht. Da ein Tape nicht direkt aus einem Stützpunkt der Volksmarine an den DDR-Rundfunk versendet werden konnte, schickte Axel Holst einige Aufnahmen an eine Tarnadresse von Chaos. Dieser ließ sich seine Post an die Anschrift eines unbescholtenen, aber beherzten Bürgers in Leipzig schicken und holte sie dort regelmäßig ab. Chaos fügte der FO-32-Revue auf der A-Seite noch Aufnahmen der Kakophoniker pffft...! auf der Seite B hinzu und sendete das Split-Tape an den Radio-DJ Lutz Schramm. Im Sommer 1988, zu einer Zeit als die Projektteilnehmer noch geschlossen dienten, lief FO 32 zweimal in Schramms Sendung „Parocktikum“. Unter den Suchscheinwerfern der Zensur, kam dies einem Piratengig aus den Reihen der Volksmarine im DDR-Rundfunk gleich. Ein Diensthalbjahr später, im Januar 1989, spielte FO 32 dann tatsächlich ein einziges Konzert, diese Performance sollte ebenfalls noch während des Wehrdienstes der Akteure in Jena zur Aufführung kommen. Zur ungezwungenen Durchführung des Vorhabens nahm man nunmehr die mobile Druckerei der PrK-18 in Anspruch. Plakate mit der Ankündigung waren schnell entworfen und gedruckt – in Jena wurde dann illegal, aber großzügig plakatiert. Da die Maschinen schon einmal am Laufen waren, entstand auch noch ein Programmheft (!) mit Texten der rumänischen Avantgarde, die freien Bearbeitungen unterzogen wurden. Zuvor bot sich bereits die Möglichkeit, in der Druckerei gefälschte Landgangsmarken herzustellen. Man tat eben, was notwendig war. Als Bodenpersonal bzw. Putzkolonne hatte man gelegentlich Zugang zum Büro des Flottillenkapitäns und machte auch dort keine Umstände, sondern versah die Blankoausgangsscheine beherzt mit dem Stempel des Kommandeurs. Derart legitimiert verkehrten die Fälscher vom Dienst nun unbekümmert außerhalb des Stützpunktes. Alexander Ponick besetzte kurzerhand eine Wohnung in der Rostocker Feldstraße und nutzte sie als Atelier, indem er sich außerhalb der Kaserne als Bohemian und Maler betätigte, ein Freigänger von eigenen Gnaden. Dort ließ sich überdies das „Ehrenkleid“ der NVA gegen schwarze Zivilkluft tauschen. Inzwischen eilte FO 32 in Jena der Ruf einer verbotenen Band voraus. Ein Verbot hätte allerdings bedeutet, je von der Staatssicherheit ins Visier genommen worden zu sein. Doch Fahnenflucht unter wehender Flagge erwies sich als perfekte Camouflage; das Konzert fand statt und war brechend voll, die Band improvisierte einen Mix aus Industrial und Rezitation. Nach getaner Arbeit verfügte sich das Militärensemble zurück in seine Kaserne.
Für Axel Holst war zu diesem Zeitpunkt das NVA-Manöver bereits beendet und Rekrut Tim Däunert, ebenso ein Absolvent der BS Rudi Arndt, stieß statt seiner zu FO 32. In der Besetzung mit Däunert entstand ein zweites Tape im behüteten Umfeld der Kaserne. Auf dem Weg zu Lutz Schramm ging später die einzige Kopie verloren. Heute existieren zwei Versionen eines FO-32-Tapes; eine umfangreichere Materialsammlung, die Alexander Ponick 1989 mit einem Artwork aus eigener Hand unter wenigen Freunden streute sowie ein verknappter Materialmix auf einer einseitig bespielten Kassette, welcher noch im selben Jahr auf dem illegalen Label Trash Tape Records erschien. Die Ehrensalve von einhundert Kopien war auch schon der Zapfenstreich für FO 32 – ins zivile Leben entlassen, hatte das extra hart arbeitende rastermaterial für kontakt ausgedient.
Die Vinylserie tapetopia veröffentlicht eine FO-32-Auslese, deren Tracklist sich an dem Originaltape von Alexander Ponick orientiert.
Henryk Gericke